Vokabular zum Umgang mit dem Phänomen der Angst

by loekenhoff (comments: 0)

Vokabular zum Umgang mit dem Phänomen der Angst

In meinen CROSSING Interviews mit anderen Künstlern befrage ich das Verhältnis von Grenzerfahrung und Angst. Mir selber erschien Angst immer wieder als ein Phänomen, welches besonders in Zeiten des Wandels und der Grenzerfahrung spürbar wird. Im Rahmen des CROSSING –Projektes konfrontierte ich mich bewusst mit Situationen die mich verunsichern, um mich zu stärken: Das Überwinden und Verstehen der Angst sollte mich von ihr befreien.

Um das Phänomen der Angst dabei besser beschreiben und analysieren zu können, beziehe ich mich in der eigenen Auseinandersetzung mit dem Phänomen und der Bearbeitung der Interviews auf die Definitionen von vier Grundformen der Angst nach Fritz Riemann:[1]

Er bezieht spezifische Ängste auf speziellen Grenzsituationen und stellt die These auf, dass die Hauptausrichtungen menschlichen Angsterlebens mit der uns konstituierenden Grundstruktur des Kosmos in Zusammenhang stehen.[2] 

Er spricht hier von den vier mächtigen Impulsen des Daseins:

1) Dem Umkreisen der Erde um die Sonne,

2) der Eigendrehung der Erde,

3) der Schwerkraft und der

4) Fliehkraft.

 Diesen vier sich jeweils polar wiedersprechenden Kräften scheint seiner Überlegung nach auch die Konstitution des Menschen unterworfen zu sein. Es sind nach Riemann die “Antinomien, zwischen denen das Leben ausgespannt ist“:         

1) Umkreisung: - Einordnen in das Große Ganze

2) Eigendrehung:-Individuation

3) Schwerkraft: - Verlangen nach Dauer

4) Fliehkraft: – Verlangen nach Neuerung[3]

Vielleicht kann es hilfreich sein nachzuvollziehen, wie diese Kräfte in einer Art Überbetonung oder Unausgeglichenheit spezifische Formen der Angst hervorrufen:

1) Die Forderung ein einmaliges Individuum zu werden kann zur Angst vor Einsamkeit und Isolation führen.

2) Die Forderung sich auf Fremdes einzulassen und sich dem Anderen, an das Leben hinzugeben, konfrontiert mit der Angst vor Ichverlust.

3)Das Streben nach Dauer kreiert die Angst vor Wandel,

4)die Neugier auf Wandel macht Angst vor der Erstarrung.

 Dies sind also die Grundformen der Angst nach Fritz Riemann:

  • Die Angst vor der Selbsthingabe, als Ich-Verlust und Abhängigkeit erlebt;
  • Die Angst vor der Selbstwerdung, als Ungeborgenheit und Isolierung erlebt;
  • Die Angst vor der Wandlung, als Vergänglichkeit und Unsicherheit erlebt und
  • Die Angst vor der Notwendigkeit, als Endgültigkeit und Unfreiheit erlebt.“[4]

In meiner weiteren Auseinandersetzung mit dem Phänomen Angst im Rahmen des CROSSING Projektes werde ich mich auf das hier erläuterte Vokabular stützen.

 [1] Riemann geht davon aus, dass es kein Leben ohne Angst gibt und dass jede Zeit der Menschheitsgeschichte durch Angst geprägt war. Die Rituale alter Kulturen wurden seiner Erkenntnis nach in ähnlicher Weise aus der Sehnsucht nach Angstfreiheit heraus gestaltet, wie die Forschungen heutiger Wissenschaften. “Hatte der Mensch früherer Zeiten Angst vor den Naturgewalten, denen er hilflos ausgeliefert war, vor bedrohenden Dämonen und rächenden Göttern, müssen wir heute Angst vor uns selber haben. (...) “So ist es wieder eine Illusion, zu meinen, dass der `Fortschritt´- der immer zugleich auch ein Rückschritt ist – uns unsere Ängste nehmen werde; manche gewiss, aber er wird neue Ängste zur Folge haben.“ Riemann, Fritz: Grundformen der Angst. S.9

 [2] Riemann, Fritz: Grundformen der Angst. S. 11

[3] Riemann, Fritz: Grundformen der Angst. S. 13

[4] ebenda

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